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Liquid Glass in iOS-Apps - Welchen Mehrwert bringt der Hype wirklich?
- Zuletzt aktualisiert
- 06. Oktober 2025
- Lesedauer
- 12 Minuten


Quick Win
Liquid Glass ist kein rein visuelles Gimmick. Es bringt spürbare Veränderungen in Aufbau und Wahrnehmung von Interfaces. Für Teams bedeutet das: Chancen und Risiken liegen eng beieinander. Einerseits kann die Anpassung an Apples neue Designsprache Konsistenz und Sichtbarkeit schaffen. Andererseits ist der Aufwand nicht zu unterschätzen und sollte gezielt dort eingesetzt werden, wo er wirklich sinnvoll ist. In diesem Beitrag ordnen wir das Thema kritisch ein: Wo lohnt sich der Einsatz, welche Hürden gibt es und wie findet sich ein smarter, technischer Umgang damit?
💡 Key Takeaways
Systemnähe = weniger Reibung:
Wer sich an Apples aktuelle Designsprache hält, wirkt vertrauter und senkt die kognitive Umstellung zwischen System- und Dritt-Apps.
Mehr als nur Optik:
Liquid Glass verändert Layout, Abstände und Interaktionsmuster. Mit Blick auf die Human Interface Guidelines (HIG) entstehen konsistente und zukunftsfähige Apps.
Feature-Hebel für Sichtbarkeit:
Frühzeitige Adoption neuer Features kann die Chancen auf ein Apple-Featuring erhöhen. Ist aber kein Selbstläufer und sollte nur bei klarer Business-Relevanz priorisiert werden.
Balance von Aufwand & Nutzen:
Cross-Platform hinkt hinterher, Accessibility ist Pflicht. Für viele Apps lohnt sich eher ein inkrementeller Rollout. Oder eben die bewusste Entscheidung, erstmal beim bestehenden Design zu bleiben.
Warum spricht alle Welt über Liquid Glass?
Apple setzt seit Jahren den Ton für Design und Usability. Schon mit iOS 7 wurde Skeuomorphismus durch flache, klare Flächen ersetzt - und Apps, die am alten Look festhielten, wirkten sofort veraltet. Mit der neuen „Liquid‑Glass“-Ästhetik geht Apple einen ähnlichen Schritt: Glas‑Layer, Blur‑Effekte und Tiefenstaffelung machen das System moderner und konsistenter.
Wichtig ist: Apple führt solche Änderungen selten aus reiner Experimentierfreude ein. Fast immer steckt eine langfristige Strategie dahinter. Auto Layout und Size Classes (eingeführt in iOS 8) bereiteten z. B. die größere Gerätevielfalt seit dem iPhone 6 vor. Auch Liquid Glass dürfte Teil einer größeren Roadmap sein. Richtung neue Geräteklassen, immersive Bedienung oder Cross‑Device‑Erfahrungen.
Für Designer und Entwickler bedeutet das: Wer früh einsteigt, sammelt Erfahrung und profitiert später von einem leichteren Übergang. Wer zu lange wartet, läuft Gefahr, mit jedem Update mehr Rückstand aufzubauen. Und Nutzern das Gefühl zu geben, die App sei nicht mehr “up to date”.
Pro: Gründe für die Umstellung
1. Konsistenz im Ökosystem
System‑Apps wie Einstellungen oder Nachrichten setzen stärker auf Materials. Ein abweichender Look wirkt schnell fremd. Systemnähe ist hier keine Modefrage, sondern User Care.
2. App-Store-Hebel
Neue Features sauber zu nutzen, erhöht die Chancen auf Featuring. Besonders, wenn UI‑Neuerungen konkrete Use Cases oder Onboarding verbessern - nicht nur die Screenshots.
3. Zukunftssicherheit
Wer heute Tokens, Spacing, States und Controls an die HIG angleicht, zahlt in einen leichteren Plattform-Drift der nächsten Jahre ein. Weniger „Nacharbeiten“ bei OS-Releases.
Contra: Wann der Aufwand (noch) nicht lohnt
1. Große, stabile App
Zig Screens, viel Business-Logik, feste Nutzergewohnheiten? Ein „Hard Cut“ kann frustrieren. Besser: High‑Impact‑Flows zuerst (Onboarding, Paywall, Suche, Primary Action). Redesign geplant? Dann bündeln.
2. Budget & Velocity
Seit iOS 7 waren iOS und Android visuell relativ ähnlich. Viele Teams haben plattformsynchron designt. Liquid Glass bricht diese Nähe. Mehr Aufwand in Design (Figma-Tokens, States, Dichte), Implementation, QA. Interessant ist, dass Google mit Material 3 Expressive eine ähnliche Richtung einschlägt und ebenfalls stärker auf individuelle Gestaltung setzt. Damit wird es zur grundsätzlichen Designfrage: Setzt man auf zwei eigenständige Designs, geht man den Cross-Platform-Weg mit einem gemeinsamen Look, oder bringt man beide Plattformen mit Abstrichen auf einen Nenner?
3. Cross-Platform-Kosten
- React Native/ .NET MAUI: viele Styles werden durch native Controls vererbt. Feintuning/ Custom Blur bleibt manuelle Arbeit.
- Flutter/ Compose Multiplatform: eigene Renderer (z. B. Skia) → Designelemente müssen teils nachgebaut oder über Pakete eingebunden werden. Erste Libraries existieren (Beispiel siehe hier), aber da Flutter Liquid Glass vorerst nicht offiziell unterstützt, sind Projekte aktuell auf Community-Lösungen angewiesen.
Kurz: Je stärker ihr vom System entkoppelt seid, desto teurer wird Liquid Glass.
Technik-Deep Dive: Was ändert sich wirklich?
Liquid Glass ist kein „Hintergrundfilter“, sondern vielmehr ein Layering- und Hierarchie-System. Apple koppelt Materials mit Abständen, Elevation und Interaktionsdichte. Wer einfach nur Blur droppt, verschlechtert oft Lesbarkeit. Wer Ebenen & Tokens sauber denkt, gewinnt Orientierung.
- Spacing & Dichte: Die HIG bevorzugt luftigere Ränder um gläserne Flächen; Hit-Areas bleiben min. 44×44pt. Beispiel: Tab-Bar mit
ultraThinMaterial
+ zusätzlichem Innenabstand für Labels. - Komponenten-Priorisierung: Segmented Controls, NavBars, Bottom Bars, Sheets bekommen andere Ebenen/Hintergründe. Content bleibt bewusst solider. Warum? Glas gehört in die Chrome, nicht auf Content.
- Layering: Hintergrund → Blur/ Material → Content + dezenter Schatten/ Glow zur Trennung. Keine Glas-auf-Glas-Stapel. Eine Materialebene reicht in 90% der Fälle.
- Tokens & States: Statt Hex-Werten Tokens für Farbe, Material, Elevation. States (hover/focus/pressed) benötigen eigene Opazitäten, sonst „schwimmt“ die UI.
- Performance: Blur ist günstig, aber in Scrollern kritisch (Offscreen-Rendering). Testet mit Instruments → „Color Offscreen-Rendered Yellow“. In Listen Materialflächen als Header/ Footer statt pro Zelle.
Kurz: Implementiert eine kleine, saubere Komponentenbibliothek (Bars, Cards, Buttons, Sheets) und gebt ihr Tokens. So bleibt die Optik konsistent und Migrationen werden Updates, keine Riesenprojekte.
Achtung, Accessibility! Glas-Layer sind Kontrast-Fallen. Prüft unbedingt:
- Kontrast: Text/ Icons über Materialien ≥ WCAG-Schwellen (mind. 4,5:1 bei normalem Text).
- Dynamic Type: Labels dürfen auf Material nicht clippen, Buttons wachsen.
- Motion/ Transparenz: iOS-Einstellung „Transparenz reduzieren“ muss respektiert werden (statt Glass → solider Hintergrund).
- Dark Mode: Material-Tönungen wechseln. Vermeidet „grauer Nebel auf schwarz“.
- Fokus & Hierarchie: Glas ist Hintergrund-Zuckerguss. Primäre Aktionen bleiben optisch dominant.
Cross-Platform: realistische Einordnung
React Native
Was klappt out-of-the-box?
Native Bars/ Sheets übernehmen System-Materialien mit aktuellem SDK.
Wo wird’s Arbeit?
Feinsteuerung der Materials, konsistente Elevation, komplexe Übergänge.
Flutter
Was klappt out-of-the-box?
Packages können Blur/ Glass liefern; Look & Animations nahe am System möglich.
Wo wird’s Arbeit?
Pixelgenaue Parität zur iOS-Material-Palette, Performance in Scrollern.
Compose Multiplatform
Was klappt out-of-the-box?
Eigenes Theming konsistent plattformübergreifend.
Wo wird’s Arbeit?
iOS-Materials mithilfe von Libararies wirklich „echt“ nachbilden, Haptics/HIG-Details.
Entscheidungshilfe: Lohnt sich Liquid Glass für euch?
Ob sich der Aufwand trägt, entscheidet weniger der Look, sondern Kontext & Ziele: Wie hoch ist euer iOS-Anteil? Ist ein Redesign eh geplant? Welche Store-KPIs zählen wirklich? Denkt in Hebeln (Onboarding, Paywall, Navigation) - nicht in „überall Glas“.
Return on Invest - Sinnvolle KPIs
In der Praxis lohnt es sich, die Erfolgsmessung gleich in die Entscheidung einfließen zu lassen. So lässt sich beurteilen, ob die Investition in Liquid Glass tatsächlich Wirkung entfaltet. Typische Kennzahlen sind dabei die Time-to-Task in wichtigen Flows wie Onboarding, Suche oder Checkout. Dasselbe gilt für die Tap-Through-Rate auf primäre Aktionen.
Auch die wahrgenommene Performance spielt eine Rolle: Nutzerfeedback und gleichbleibende Crash-Raten sind wichtige Indikatoren dafür, dass das neue UI nicht nur schick, sondern auch stabil bleibt.
Schließlich wirken sich Design-Anpassungen oft auch auf die Store-KPIs aus: etwa auf die Conversion auf der Produktseite oder auf Chancen für ein Apple-Featuring. Wichtig ist dabei, Vorher/ Nachher-Vergleiche mit identischer Event-Definition einzuplanen. Und sich nicht von Vanity-Metriken blenden zu lassen.
Gute Kandidaten
- Starker iOS-Anteil, Consumer-Use-Cases, häufiger Wechsel zwischen System- und App-UIs.
- Rebranding/ Redesign geplant → Investitionen bündeln.
- App-Store-Visibility ist KPI (Feature-Chance + bessere Store-Assets). Warum? Hier zahlen Konsistenz & Sichtbarkeit direkt auf Conversion ein.
Eher warten
- Interne B2B-Tools ohne Store-Fokus, klare Funktionalität.
- Strikte Cross-Platform-Parity (ein Design für alle Plattformen) ist Muss.
- Kleines Team/ Velocity, UI-Schulden haben Priorität.
- Warum? Mehr Stilbruch als Nutzen. Ressourcen wirken in Informationsarchitektur oder Performance besser.
Kläre vorab diese 5 Fragen
- Welche KPIs soll Glass verbessern (z. B. Produktseiten-Conversion, Onboarding-Abbrüche)?
- Welche 2-3 Screens liefern den größten Hebel?
- Wie strikt ist eure Cross-Platform-Parity wirklich?
- Gibt es ein nahes Rebranding-Fenster?
- Welche Fallbacks braucht Accessibility (Kontrast, Reduce Transparency, Dynamic Type)?
Fazit
Liquid Glass kann spürbaren UX-Mehrwert liefern. Wenn es Information, Hierarchie und Barrierefreiheit stärkt. Reines „Hübschmachen“ lohnt selten. Wer strukturiert vorgeht, senkt Risiko und erhöht die Chance auf Store-Sichtbarkeit. Und falls es gerade nicht passt: Ein gläsernes App-Icon ist ein smarter Zwischenschritt.
